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Integrative Waldwirtschaft

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Für Lohr am Main gibt es kein entweder oder

Fotos und Videos: Stefan Lechner l Text: Annika Burger
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Ein letzter prüfender Blick, das markante Klackern einer Sprühdose vor ihrem Gebrauch und schon ist die Buche mit einer grünen Schlangenlinie rund um den Stamm versehen. Grün bedeutet: Dieser Baum bleibt stehen. Der Baum steht im FSC-zertifizierten Stadtwald von Lohr am Main und markiert hat ihn Michael Neuner. Er ist Leiter des städtischen Forstamts. Zu entscheiden, welcher Baum gefällt und welcher aus der Nutzung genommen wird, ist, neben den vielen Aufgaben im Büro, eine der Tätigkeiten, die ihn regelmäßig in den Wald bringen. Der ehemalige Fachlehrer der Lohrer Forstschule übernahm 2021 die Leitung und damit – aus FSC-Sicht – ein nicht unbedeutendes Erbe. Denn der Forst in Lohr ist mit 4.100 Hektar nicht nur der drittgrößte Kommunalwald von Bayern, sondern auch der damals erste im Freistaat, der sich im Jahr 2000 FSC-zertifizieren ließ.
Mit 67 % Buche und Eiche dominiert das Laubholz in der örtlichen Baumartenzusammensetzung, gefolgt von Fichte, Kiefer, Lärche und Douglasie als Vertreter der Nadelgehölze.
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22 Jahre zertifizierte nachhaltige Waldbewirtschaftung bedeuten für Herrn Neuner jedoch keine unangenehmen Auflagen, sondern Selbstverständlichkeit: „Wir leben FSC, wir machen das aus Überzeugung.“ Im Lohrer Stadtwald gebe es nicht entweder Naturschutz oder Wirtschaft, sondern „wir verbinden das und betreiben integrative Waldwirtschaft“, so der Förster. Zu diesem Ansatz gehöre auch, die Öffentlichkeit aktiv mit einzubinden und Informationen zu vermitteln. 20 % seiner Arbeit, so schätzt Neuner, machten Öffentlichkeitsarbeit und der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern, Verbänden und anderen Interessenvertretern aus. Eine Aufgabe, die ihm am Herzen liege.
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Doch zurück zur grünen Schlangenlinie: Der Forstamtsleiter steht inmitten des Herbstlaubes vor einem der markierten Bäume und erklärt: „Bei uns im Bewirtschaftungskonzept ist die Integration von Naturschutzaspekten ganz zentral. Das heißt für uns, dass wir Bäume mit entsprechenden Strukturen wie zum Beispiel abgebrochenen Kronen nicht mehr nutzen, sondern im Ökosystem belassen. Solche Biotopbäume haben umfangreiche Eigenschaften für den Artenschutz.“ Im Falle dieses Baumes etwa verfault das Stammholz durch seine beschädigte Krone, wichtig für xylobionte, also holzbewohnende Käfer oder auch Pilzarten. Biotopbäume wie diese stehen im gesamten Lohrer Bestand 15 pro Hektar, das hat die aktuelle Forsteinrichtung von 2022 ergeben. Ein sehr hoher und guter Wert, wie der Forstamtsleiter erklärt: „Das zeigt, wie wichtig uns die Naturschutzarbeit ist.“
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Nicht umsonst also spielen Biotopbäume, stehendes und liegendes Totholz eine wichtige Rolle im FSC-Wald-Standard. Als „besondere Schutzwerte“ sind FSC-Betriebe dazu angehalten, deren Zustand zu erhalten oder zu verbessern. Prinzip sechs des Standards geht unter „Auswirkungen auf die Umwelt“ dezidiert darauf ein. Ökosystemleistungen und die Umweltgüter des Waldes sind zu erhalten oder wiederherzustellen. Was auf dem Papier mit zehn Kriterien festgehalten ist, gewinnt im Lohrer Stadtwald Form und Farbe – und jede Menge Feuchtigkeit, denn „gerade liegendes Totholz mit seinen Moosen und Pilzen ist ein zentraler Wasserspeicher im Wald“, erklärt der Förster, während er das nasse Moos in seinen Händen ausdrückt wie einen Schwamm. Ein nicht zu verachtender Aspekt, bedenkt man den verheerend trockenen Verlauf des letzten Sommers und die Prognosen der kommenden Jahre. Gleichzeitig wirkt das humusbildende Material Hochwassern genauso entgegen wie Erdrutschen.
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Tatsächlich ist die Diversität der Biotopbäume enorm. In einer nahestehenden Buche hat sich eine Höhlenstruktur ausgebildet, Heimat für Schwarzspecht, Halsbandschnepper und Hohltauben. Wiederum in aufgeplatzten Rindenstrukturen hausen Fledermäuse, und in ausgebildeten Dendrotelmen – wassergefüllten Baumhöhlen – entstehen Mikrogewässer, die von verschiedensten Organsimen genutzt und bewohnt werden. Stirbt ein Biotopbaum im Lauf der Jahre ab, wird er zum stehenden Totholz, fällt er in der Folge um, wird er zum liegenden Totholz. Ein Prozess, der langsam vonstatten gehe, sagt Neuner, der vor einer Eiche steht: „Dieser Baum kann noch 150 Jahre im Ökosystem erhalten bleiben. Das ist nicht nur ein Beitrag zum Naturschutz, sondern auch zur langfristigen Bindung von CO2.“
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Eine um 20 % reduzierte Holzernte zur maximalen Holznutzung muss der Forstamtsleiter aufgrund der Biotop- und Totoholkonzepte einplanen. Diese naturgemäßen Waldstrukturen werden im gesamten Wirtschaftswald gepflegt: „Wir haben Hiebsätze, wir haben Nachhaltigkeitskonzepte, wir haben Naturschutz- und Erholungskonzepte, die wir ganz normal in unsere Bewirtschaftung integrieren, erläutert Michael Neuner. Natürlich komme es da auch zu Konflikten: „Ich kann den Baum nur einmal nutzen.“ Kaskadennutzung sei hier das entscheidende Stichwort gemäß dem der Förster die Holznutzung managed. Dazu gehöre auch, das Holz entsprechend zu vermarkten und nicht „zu verramschen“. Für den Holzverkauf helfe die FSC-Zertifizierung aber nur manchmal, gerade die kleineren Sägewerke in der Region seien nicht zertifiziert und die Großsägewerke interessiere es oft nicht, ob Holz FSC- oder PEFC-zertifiziert sei, hauptsache es sei zertifiziert.
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Auch wenn der Lohrer Forst den letzten trockenen Sommer verhältnismäßig gut überstanden hat, sind natürlich auch am Main Klimaresilienz und entsprechender Waldumbau Themen, die das örtliche Waldmanagement beherrschen, weiß der Forstamtsleiter zu berichten. Der FSC-Standard trifft dazu unter Prinzip zehn, „Umsetzung von Bewirtschaftungsmaßnahmen“, klare Aussagen: „Die Walderneuerung orientiert sich an der natürlichen Waldgesellschaft “, wobei die natürliche Verjüngung Vorrang hat und der Anteil nicht-heimischer Baumarten im Forstbetrieb maximal 20 % betragen darf. Nicht-heimische Baumarten werden dann maximal horstweise (zwei Baumlängen) eingebracht. Nachteilige Auswirkungen auf den Wald werden so vermieden. Ein Thema, das Herrn Neuner kein Kopfzerbrechen bereitet: „Wir arbeiten mit der Natur, aber versuchen diese dann noch ein bisschen anzureichern“, zum Beispiel indem gezielt Eiche aus heimischem Saatgut eingebracht wird. Eichen haben die Trockenperioden der letzten Jahre gut überstanden und zählen für den Chef des Forstamts zu den Zukunftsbäumen im Lohrer Wald.
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Ortswechsel. Der Blick schweift über einen ehemaligen Fichtenbestand, der 2018/19 erst durch Windwurf, dann durch Borkenkäferbefall kalamitätsbedingt genutzt werden musste. Gerade solche Flächen regt der Förster an, nicht nur negativ zu bewerten: „Unser Konzept ist hier, heimische Traubeneiche kleinflächig in die Buchen- und Fichtenbestände einzubringen. So wird eine solche Kalamitätsfläche zur Chance, aktiven Waldumbau in Richtung standortheimischer Baumarten zu betreiben.“ Hingegen bei kleinflächigen Kalamitäten setzt er darauf, unter dem schützenden Altholzbestand Naturverjüngung zu etablieren. So sei beispielsweise durch gezielte Lichtsteuerung und effektive Schalenwildbejagung aus einem Bestand mit ehemals drei Hauptbaumarten ein stabiler mischbaumartenreicher Bestand mit nun acht Hauptbaumarten entstanden. Michael Neuner fasst zusammen: „Verjüngung unterm Altholzschirm ist immer deutlich besser, wie Verjüngung, die auf einer Freifläche entsteht. Da, wo wir Freiflächen nicht vermeiden können, arbeiten wir mit Lichtbaumarten und bringen die Eiche.“ Dennoch bleibe auch die Buche, die unter dem letzten Sommer gelitten habe, zentrale Baumart, mit ihr werde mehr als die Hälfte des Umsatzes generiert. Und ganz im Sinne von FSC bringt es der Förster schließlich auf den Punkt: „Es gibt nicht nur die eine Holzart, wir müssen auf mehrere Pferde setzen“.
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